Komm schon. Drei, zwei, eins…
Mit einem leisen Knurren versuchte sich das klitschnass rosa Etwas an einer von der Sonne aufgeheizten Bruchsteinmauer hochzuziehen. Aber ohne dem Auftrieb des Wassers war es für ihn unmöglich. Der Algioner plumpste mit dem Hintern wieder abwärts in den groben Schotter.
"Nnngh--" Verflucht! Stell dich doch nicht so an! Momentan war er auf einer eigentlich unzugänglichen Plattform nah am Wasser und knapp über dem Meeresspiegel. Außer dem Wasser und dem Horizont sah er nur unzähligen große Güterschiffen, die Yook in seinem bisherigen Leben nur von unten sehen durfte.
Auch wenn er es bald mal auf die Beine schaffen sollte - wohin dann? Entweder geht's wieder zurück ins Wasser, oder er erklimmt die etwa zweieinhalb Meter hohe Hürde vor ihm.
Hinter dem Schutzwall hörte man Abertausende Stimmen und Geräusche. Da ist es sicher lustig. Da muss er dringend und ohne Umwege hin!
"Jetzt nochmal… und…"
Mit den klebrigen Fingern griff er sich die groben Krater in der grauen Wand und zog seinen unbeholfenen Körper mit angestrengter Mimik erneut hoch. Und diesmal schaffte er es. Er stand nun endlich auf seinen eigenen Beinen. Aber jetzt muss der Algioner noch die Mauer loslassen und stehen.
"..." Wie soll das denn gehen? Das hat sich Yook um Welten einfacher vorgestellt.
Die Vorfreude auf diese neue fremde Welt ließ ein breites Lächeln auf seiner Schnute wachsen. Wie sie wohl wohnen, was sie essen, wie sie sprechen, lachen, singen. Er konnte die Wesen hinter der Wand nur hören, aber gesehen hat er außer seine Artgenossen und vielen Meeresbewohnern noch kein anderes Lebewesen in seinem jungen Leben. Der Körper gewöhnte sich allmählich an die stärkere Schwerkraft und nach vielen weiteren misslungen Versuchen spazierte er nun wie ein stolzer Landbewohner auf der kleinen Plattform hin und her. "Hehe.."
Schafft er es über diese Wand? Wäre er in seiner Heimat unter Wasser, würde er einfach drüber schwimmen, aber in der momentanen Situation würde das Erfolgserlebnis gänzlich fern bleiben. Es musste ein Plan B her.
"Hrm! Hrn! Hrrrmm-!"
Die rechte Hand da hin. Der linker Fuß hier hin. Vorsichtig machte er die ersten Kletterversuche an der groben Bruchsteinwand, doch er schaffte es lediglich etwas über zwanzig Zentimeter vom Kies weg, als er verharrte. Nanu? Wo ist der Boden hin..?? Er konnte das sichere Land mit der Fußsohle nicht mehr ertasten. Wie hoch war er schon? Sein Griff und seine Muskeln verkrampften. Mist, war das eine schlechte Idee, und wahrscheinlich auch seine Letzte, wenn er die überschätzten Zentimeter bis in seinen Tod fällt. Dem Algioner überkam die Panik und er vergaß sich komplett, als er verzweifelt das Quietschen und das Jammern anfing.
"Hä…? Hey, sie dir das mal an. Hoch mit dir..! Hilf mir mal schnell!"
Von oben packten vier warme Hände den Hilflosen unter den Armen und an den Gelenken und zogen ihn vorsichtig auf die Mauerkante.
"Nanu? Ein Algioner. Respekt!", bejubelte die andere Person seinen Partner. Die zwei platzierten sich etwas um und hoben Yook auf der anderen Seite wieder runter von der Mauer. "So einen rosanen Burschen habe ich noch nie gesehen? Ein was? Ein Algioner?"
Während die beiden in einer für das Wassertierchen unverständlichen Sprache diskutierten, öffnete Yook langsam wieder seine Augen und sah sich um.
"..!!" Einer sah aus wie ein Alligator. Ein Alligator auf zwei Beinen. Der andere war etwas, was der Rosane nicht kannte. Er gaffte nun an die beiden vorbei und erkannte einen riesigen Hafen mit vielen umherspazierenden Kreaturen. Am Himmel waren vereinzelt weiße Wolken und einige Möwen. Die Häuser, die Lagergebäuden. Alles, was für die Landbewohner selbstverständlich war, ist für Yook neu. Die Wege waren sehr breit und mit ordentlichem Pflastersteinen bestückt. Man erkannte einen einheitlichen Kleidungsstil bei all dein Einwohnern. Sowas wollte Yook ebenfalls.
Das erkannte man auch an seinen großen gierigen Glubschaugen, die gar nicht so viel gucken konnten, was es zu sehen gab.
"Hey, du bleibst hier Freundchen!", der anthropomorphe Alligator packte den Algioner am Oberarm und guckte finster auf ihn hinab. Er lächelte jedoch nur hoch und verstand die Situation nicht, in dem er sich befand. "Ich kenne welche, die so einen wie dich sehr gut gebrauchen kö-… Hey? Kollege?"
Yook wackelte und ließ die rote Zunge raushängen. Er wusste nicht, was das plötzlich war, dich er hatte ein gigantisches Verlangen nach Wasser. Die Mittagssonne strahlte senkrecht auf den armen Haufen Rosa und ließ ihn gefühlt auf 100 Grad kochen.
"Du, ich hol einmal Wasser. Pass du auf ihn auf."
Plötzlich rannte der eine weg und ließ den Alligator mit dem Algioner alleine. Das war Yooks Chance auszubüchsen. Doch er kam keinen Meter, als der andere ihn an der Ästen am Kopf festhielt. "Nichts da!"
Mit einem Fauchen und zu Schlitzen verformten Pupillen ließ sich der Algioner fallen und fälzte sich schmerzerfüllt. Die Reaktion verdutzte sein Gegenüber ordentlich und ließ ihn etwas erstarren. Doch so schnell konnte er nicht gucken, als Yook sich umdrehte und ihn wie ein wildgewordenen Tier in den Unterarm biss.
"Nngh-AAAAHHH-!"
Das Schreien eroberte nun die Aufmerksamkeit vieler Hafenbesucher. Mit letzter Kraft sprintete Yook los in Richtung der Schiffe, wo es auch so weit er weiß Wasser geben soll. Und möglichst ohne hinzufallen oder in jemanden reinzuflitzen. Ungeholfen sprang er zwischen all den Transportbooten ins Wasser und Ehe sich die Wasseroberfläche beruhigte, war er schon weg.
"Nnnghh… Dreckiges kleines…"
_________________ veni, vidi, violini - ich kam, ich sah, ich vergeigte
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